Interview: Studie zu psychotherapeutischer Versorgung von unbegleiteten Flüchtlingen
Das Salesianum hat kürzlich in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Ulm eine Studie durchgeführt, die sich der Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung unbegleiteter junger Flüchtlinge widmet. Erprobt wurde in unserem Haus ein gestuftes, traumapädagogisches Behandlungsangebot in den Wohngruppen „Life“ und „Hope“, die speziell auf die Bedürfnisse unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge (UMF) ausgerichtet sind. Über die Studie sprachen wir mit dem Projektverantwortlichen Alexej Hecht.
Herr Hecht, wie sieht die psychotherapeutische Versorgung unbegleiteter Flüchtlinge derzeit in unserem Haus aus?
Normalerweise ist es so, dass entweder wir – das heißt die Betreuer*innen oder ich – den Bedarf sehen, dass einzelne Jugendliche von einer Psychotherapie profitieren könnten, oder eben die Jugendlichen selbst merken, dass sie Hilfe brauchen und auf uns zukommen. In so einem Fall unterstützen wir die Geflüchteten dabei, einen Termin mit einem Psychotherapeuten zu vereinbaren. Allerdings kann es sehr lange dauern, bis ein Termin frei wird. Eine weitere Schwierigkeit ist es, einen geeigneten Trauma-Therapeuten zu finden, der Zeit und Lust hat, mit Flüchtlingen zu arbeiten – das wollen auch nicht alle.
Inwiefern unterscheidet sich das gestufte Behandlungsangebot, das mit der Studie erprobt worden ist, von den bestehenden Hilfen?
Der Hauptunterschied ist der, dass die Jugendlichen erst einmal mit einem Screening untersucht werden. Erhoben wird dabei, wie stark die Jungen belastet sind, denn das kann ganz unterschiedlich sein: Einige haben vielleicht schlimmere Sachen erlebt als andere, manche können das Erlebte vielleicht besser verarbeiten. Die Idee oder das Ziel des gestuften Behandlungsangebots ist es, das passende Angebote für diejenigen zu finden, die wirklich stark belastet sind. Das kann eine Gruppenintervention hier im Haus sein oder eben eine Einzeltherapie bei einem Psychotherapeuten, der sich mit dem Bereich Trauma auskennt.
„Das Ziel ist somit auch,
dass die Hemmschwelle zur Einzeltherapie sinkt.“
Wie ist denn die Studie genau abgelaufen?
Im Mai/Juni 2020 haben Mitarbeitende und Doktoranden des Universitätsklinikums Ulm das Screening von den Geflüchteten bei uns im Haus durchgeführt. Angemeldet haben sich dafür zwölf Jungen. Ich muss hinzufügen, dass es bestimmte Kriterien für die Teilnahme an der Studie gab: Die Jungen durften etwa nicht über 21 Jahre alt sein und sollten unbegleitet sein. Es gab auch Jungen, die von vornherein gesagt haben, dass sie da nicht mitmachen wollen. Wir haben niemanden dazu gezwungen, das war alles auf freiwilliger Basis.
Zwei Wochen nach dem Screening gab es dann so eine Randomisierung: Von allen teilnehmenden Jugendeinrichtungen wurden noch einmal 50 Prozent ausgewählt, die dann in die Versuchsbedingungen kamen. Wir hatten Glück und wurden ausgewählt. Das bedeutete, dass sechs Mitarbeitende aus unserem Haus im September/Oktober zu einer zweitägigen Schulung nach Ulm eingeladen wurden. Dort hat uns eine erfahrene Trauma-Therapeutin die Durchführung einer sogenannten Gruppenintervention für junge Flüchtlinge beigebracht. Das war natürlich eine super Gelegenheit, weil es eine kostenlose Weiterbildung für die Mitarbeiter dargestellte und auch eine wichtige Ressource ist, um besser mit den Jungen umzugehen.“
Diese Gruppenintervention haben wir dann von November 2020 bis Januar 2021 bei uns im Haus mit zwei Gruppen von Jugendlichen durchgeführt. Teilgenommen haben fünf unbegleitete Flüchtlinge, die sich einmal wöchentlich in ihrer Gruppe trafen und sich mit ihren traumatischen Erlebnissen auseinandersetzten. Eine Einzeltherapie gab es nicht, weil es niemanden gab, der dazu bereit war. Doch die Idee dieses gestuften Behandlungsmodells ist auch, dass die Jugendlichen in der Gruppenarbeit sehen, dass die Auseinandersetzung damit nicht so schlimm ist und ihnen vielleicht hilft. Das Ziel ist somit auch, dass die Hemmschwelle zu einer Einzeltherapie sinkt.
In einem halben Jahr findet dann ein weiteres Screening der Jugendlichen statt und dann kommen wahrscheinlich Ende des Jahres die Ergebnisse der Studie rein. Dann sprechen wir auch mit jedem Einzelnen über die Auswertung seines Fragebogens, der Aufschluss über Stresssymptomatik, Ängste und Depressionen gibt.
Haben sich während der Studie Schwierigkeiten ergeben? Wenn ja, welche?
Das meiste waren eher organisatorische Schwierigkeiten, dass mal der eine oder andere Jugendliche nicht da war, weil ihm etwas dazwischengekommen ist. Eine Herausforderung waren auch die Sprachbarrieren, die zum Beispiel bei den Fragebögen oder in der Gruppenintervention deutlich wurden: Man musste schwierige deutsche Begriffe erst einmal erklären.
Was ist Ihr persönlicher Eindruck hinsichtlich der Notwendigkeit und Bedeutung dieser Studie – unabhängig davon, dass noch keine Ergebnisse vorliegen?
Meine Einschätzung wäre zunächst einmal die, dass die Studie zu spät durchgeführt wurde. Der ganz große Flüchtlingsandrang, der Moment, wo die Hilfe eigentlich am nötigsten gewesen wäre, wäre so um 2015 herum gewesen. Jetzt haben wir viele Leute im Land, die schlimme Dinge erlebt haben, im Krieg oder auf der Flucht waren, und davon stark traumatisiert sind. Dementsprechend denke ich, dass die Studie total wichtig ist, um eben ein besseres Behandlungsangebot für die Geflüchteten zu schaffen, die nach Deutschland kommen und eigentlich Hilfe benötigen.
Eine andere Sache betrifft die Kulturunterschiede: In den Herkunftsländern der Flüchtlinge ist Psychotherapie den meisten Menschen überhaupt kein Begriff. Damit sie etwas damit anfangen können, muss auch das deutsche Personal darauf sensibilisiert werden, ihnen erst einmal zu erklären, was eine Psychotherapie ist und sie davon überzeugen, dass sie Sinn macht.
„Die Studie ist total wichtig,
um ein besseres Behandlungsangebot
für die Geflüchteten zu schaffen.“
Haben Sie diese Skepsis gegenüber der Psychotherapie bei der Arbeit mit den Jugendlichen z.B. in der Gruppenintervention gemerkt?
Die Skepsis war auf jeden Fall da. Aber wir hatten in der einen Gruppe einen Jugendlichen, der schon lange hier ist und schon eine Psychotherapie durchlaufen hat und das, sowie die Idee dahinter, dementsprechend schon kannte. Er hat die anderen Jugendlichen da ein bisschen mitgenommen und das hat sehr geholfen.
Wie geht es weiter, wenn die Ergebnisse da sind? Soll es dann in Zukunft solche gestuften Behandlungsangebote in unserem Haus geben?
Erst einmal muss die Studie zeigen, dass das gestufte Behandlungskonzept einen signifikanten Unterschied macht. Sie ist irgendwo auch ein Pilotprojekt.
Wovon wir im Haus aber jetzt schon profitiert haben, sind die Schulungen für die Mitarbeitenden. So haben wir uns auch das Know-how angeeignet, um diese Gruppenintervention selbstständig durchführen zu können. Das werden wir in den kommenden Monaten vielleicht auch noch einmal mit einer neuen Gruppe von jungen Geflüchteten bei uns im Haus machen. Zum anderen haben wir nun auch Kontakte zu Therapeuten geknüpft, die sich auf dem Gebiet der Trauma-Therapie auskennen, und wir können bei Bedarf auch unsere Jugendlichen dorthin vermitteln.
Aufgezeichnet von Patrizia Czajor/RefÖA; Foto: RefÖA/Patrizia