Eine Einrichtung
in Trägerschaft der
Salesianer Don Boscos

Freiheit ist nicht selbstverständlich

Veröffentlicht am: 21. Mai 2020

Eine mit Bleistift gezeichnete Hand mit bunten Farbakzenten, dann auf dem nächsten Blatt eine Frau vor grünem Hintergrund, die ernst und besorgt schaut, aber auch ein bisschen verbissen. Deborah Yeung blättert durch ihren Skizzenblock und zeigt einige ihrer vor kurzem entstandenen Zeichnungen, auf vielen sind Menschen zu sehen. „Das Zeichnen entspannt mich, ich bekomme meinen Kopf frei.“ Deswegen steht für die junge Frau schon lange fest: Sie will Kunst studieren, und zwar am liebsten in München.

Aus diesem Grund verließ sie im September 2019 ihre Heimat Hong Kong, um zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr im Salesianum in München zu machen. Die 18-Jährige ist in der salesianischen Einrichtung für den Bereich Jugendwohnen für Auszubildende und Blockschüler zuständig. Die Aufgaben sind sehr vielfältig: Die FSJlerin verteilt Post, betreut die Jugendlichen im Freizeitbereich, zum Beispiel in der Lounge oder in der Schwimmhalle, und backt hin und wieder auch einen Kuchen für das Gruppencafé. „Ich fühle mich hier wirklich sehr wohl.“

Vorurteile haben sich als falsch herausgestellt

Die Wahl auf Deutschland fiel jedoch nicht zufällig – ihre Mutter kommt ursprünglich aus der Gemeinde Bichl bei Benediktbeuern, lernte bei einem Aufenthalt in Hongkong den Vater von Deborah kennen und lebt mittlerweile seit 27 Jahren in Hongkong. Auch wenn Deborah viel auf Deutsch versteht, so hat sie doch keinen großen Bezug zum Heimatland ihrer Mutter, wie sie sagt. In München war für sie zunächst alles neu und sie gesteht, dass sie durchaus mit Vorurteilen nach Deutschland kam. Stur, kalt und nicht so offen – so sollen, hieß es in ihrem Umfeld, die Deutschen sein. „Fußball und Bier“, bringt es Deborah Yeung auf den Punkt und schmunzelt ein wenig. Doch hier habe sie dann eher gegenteilige Erfahrungen gemacht. Die jungen Menschen sind alle sehr offen und vor allem sehr interessiert, wie sie festgestellt hat. Zum Beispiel hätten viele, erzählt sie, nach der politischen Situation in Hongkong gefragt, wo es seit 2018 immer wieder zu Demonstrationen und Ausschreitungen kommt.

Auch für Deborah Yeung ist es nicht leicht, die politische Situation auf Deutsch zu beschreiben, lieber ist ihr Englisch. Sie erzählt, dass das auch in ihrer Familie ein großes Thema ist. Im Zentrum der Auseinandersetzung das Justizsystem in Hongkong, das bislang unabhängig von der Volksrepublik China war, wie sie erläutert. Nun werde von den Regierungen versucht, das auszuhebeln. „Gerade die jüngeren Menschen haben eine starke Meinung dazu“, sagt die 18-Jährige. Die ältere Generation, zu dieser zählt sie etwa auch ihre Mutter, würde das anders sehen und befürchte, dass die Demonstrationen nur zu mehr Gewalt führten.

Ihre eigene Ansicht, sagt sie, habe sich seit ihrer Zeit in München auch etwas geändert. Vorher habe sie sehr mit den Menschen, die auf die Straße gehen, sympathisiert. Doch mit etwas Abstand habe sie mehr Verständnis für die Sorgen ihrer Mutter entwickelt. „Es macht mich traurig, warum Menschen sich so bekämpfen.“ Eine wichtige Erkenntnis war für sie: Man sollte die Freiheit nie als selbstverständlich ansehen.

Text und Fotos: RefÖA