Badu Ba geht seinen Weg
Seit kurzem hat sich im Leben von Badu Ba einiges geändert. Der 26-Jährige ist in seine eigenen vier Wände gezogen – eine Wohngemeinschaft. Küche und Wohnzimmer teilt sich Badu Ba mit fünf anderen Personen. Für den jungen Mann aus dem Senegal ist es ein großer Schritt – einer in Richtung Selbstständigkeit und Unabhängigkeit.
Sein Umzug ist erst eine Woche her. An diesem Nachmittag im August besucht der junge Mann noch einmal das Münchner Jugendwohnheim Salesianum, in dem er zuvor vier Jahre gelebt hat. Am Empfangsbereich vorbei passiert er eine Ausstellung, die sich über mehrere Flurtrakte erstreckt und die Geschichte des Hauses darstellt. Auf dem Boden und an den Wänden verlaufen orangefarbene Linien zwischen Tafeln, die dokumentieren, wie die Salesianer Don Boscos hier seit über 100 Jahren junge Menschen betreuen und begleiten. Derzeit sind es rund 400 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die in der Einrichtung im Münchner Stadtteil Haidhausen leben oder hier täglich Zeit verbringen. Badu Ba war bis vor kurzem noch einer von ihnen.
Mit dem Salesianum verbindet er sehr viele positive Erinnerungen – aber nicht nur das: „Ich bin sehr dankbar für die Hilfe, die ich hier bekommen habe.“ Badu Ba sitzt im Büro seiner ehemaligen Bezugspädagogin Anna-Lena Koalick, zu der er immer ein sehr gutes Verhältnis gehabt hat. Nicht selten habe die Betreuerin über ihre eigentliche Arbeitszeit hinaus mit ihm Zeit verbracht und versucht, ihm bei seinen Problemen zu helfen, erzählt er. „Und ich bin ja nicht der einzige, der Hilfe braucht.“ Im Gespräch wirkt der 26-Jährige sehr ruhig, höflich und aufmerksam.
Wenn man ihm länger zuhört, gewinnt man schnell den Eindruck, dass der junge Mann die Hilfe sehr gebraucht hat. Ursprünglich kommt der 26-Jährige aus dem Senegal und es war gerade zu Beginn eine große Herausforderung für ihn, in einem neuen Land anzukommen. „Ich habe überhaupt nichts über Deutschland gewusst und darüber, wie die Dinge hier funktionieren“, meint er. Schwierigkeiten bereiten ihm zu Beginn vor allem bürokratische Angelegenheiten wie das Abschließen einer Krankenversicherung, das Beantragen einer Aufenthaltsgenehmigung, aber auch die Suche nach Arbeit. Hinzu kommen kulturelle Unterschiede – Badu Ba ist Muslim. „Vieles, was hier als normal gilt, war für mich erst einmal ziemlich neu.“
Suche nach einer neuen Heimat
Die Frage, was ihn damals nach Deutschland führte, ist nicht einfach in zwei, drei Sätzen zu beantworten. Seine Augen sind hellwach, als er beginnt, seine Geschichte zu erzählen: Es muss 2011 gewesen sein, als er seine Heimat und auch seine Familie im Senegal verlässt. „Ich habe dort keine Perspektive gesehen.“ Seine Reise führt ihn über Marokko, Tschechien und Italien schließlich nach Deutschland – obwohl das laut Badu Ba eigentlich nicht geplant gewesen ist. „Ich wollte eigentlich in Italien bleiben, wo ich einige Bekannte habe.“
In Italien versucht Badu Ba jedoch vergeblich, Fuß zu fassen. Er zieht weiter nach Deutschland, wo er einige Zeit auf der Straße lebt. Doch hier scheint das Glück auf seiner Seite zu stehen: Ein Fremder will ihm helfen und nimmt ihn in seiner Wohnung auf, wo er für einige Zeit leben wird. „Seine Frau kam aus Ghana“, erklärt Badu Ba die Motivation des Mannes – und später Freundes. Daniel, so heißt er, unterstützt ihn auch dabei, einen Ausbildungsplatz sowie einen Sprachkurs zu finden.
2017 zieht der 26-Jährige schließlich ins Jugendwohnheim Salesianum München ein. Ebenfalls ein glücklicher Zufall: Kurz zuvor hatte er eine Ausbildung als Landschaftsgärtner begonnen und seine Ausbilderin macht ihn auf diese Wohnmöglichkeit aufmerksam. 2019 kommt eine intensive Betreuung aus dem Bereich der Jugendhilfe hinzu. Das Programm nennt sich „Integration konkret“ und hat das Ziel, junge Menschen auf das selbstständige Leben außerhalb der Einrichtung vorzubereiten. In jedem Jahr erhalten vier junge Menschen diese spezielle Förderung. 2019 ist Badu Ba einer von ihnen. Im vergangenen Jahr wird die Hilfe für den jungen Mann dann um ein weiteres Jahr verlängert.
Integration hat viele Aspekte
Die Begleitung durch Sozialpädagogin Anna-Lena Koalick erfolgt über zwei Jahre. Regelmäßig, meistens einmal in der Woche, steht ein Treffen an, bei dem sie so lebenspraktisch wie möglich mit ihm trainiert, was es für ein selbstständiges Leben braucht. Das Programm umfasst verschiedene Module: Eine eigene Wohnung finden, soziale Kontakte pflegen, Gesundheits- und Sinnfragen besprechen und Finanzen planen seien einige der wichtigen Punkte, erläutert die Sozialpädagogin. Welcher gerade akut ist oder besprochen werden soll, entscheiden die jungen Menschen selbst. Anna-Lena Koalick beschreibt es mit dem Bild einer Perlenkette: Die Perlen sind vorgegeben, nicht aber die Reihenfolge ihrer Anordnung.
Was macht den Weg in ein selbstständiges Leben überhaupt so schwierig für die jungen Menschen? Die Sozialpädagogin hat die Erfahrung gemacht, dass es sehr oft daran scheitert, dass sie einfach keine eigene Wohnung finden und etwa bei Verwandten leben. Auch finanzielle Sorgen seien eine typische Hürde oder es fehle außerhalb der Jugendhilfeeinrichtung an einem sozialen Netzwerk, das einen im Notfall auffängt und unterstützt.
„Er will die Arbeit schaffen.“
Auch für Badu Ba ist es ein langer Weg, dorthin zu kommen, wo er heute ist. In der Berufsschule bereitete ihm gerade die fremde Sprache Probleme. „Ich habe oft nicht alles verstanden – gerade, wenn Lehrer einen bayerischen Dialekt hatten.“ Doch auch die Gesundheit bremste ihn zeitweise aus. Anna-Lena Koalick erinnert sich an die Zeit, als sie ihn kennengelernt hat – also zu Beginn des Programms. Er hatte gerade einen Kreuzbandriss erlitten und es wirkte auf die Sozialpädagogin so, als sitze der junge Mann gerade in einem „totalen Tief“. Das hatte, wie sie schildert, viel damit zu tun, dass er in dieser Zeit aufgrund seiner Verletzung nicht arbeiten konnte, woraufhin seine Ausbildung verlängert werden musste. Auch seine Freizeit war sehr eingeschränkt und aufgrund des Kontaktes zu Corona-Infizierten musste er sich mehrmals in Quarantäne begeben. „Er hat so viel in der Arbeit und Berufsschule verpasst und es war nicht leicht, den Stoff zuzuarbeiten“, sagt Anna-Lena Koalick. Von seinem Betrieb sei in dieser Situation nicht viel Unterstützung gekommen.
Und dennoch habe sie ihm selbst in dieser schwierigen Phase immer wieder angemerkt: „Er will die Arbeit schaffen.“ Genau diese Einstellung findet die Pädagogin sehr bewundernswert: „Er nimmt die Sachen so, wie sie kommen.“ Im Salesianum hätten viele seine freundliche Art und seine Gelassenheit geschätzt, erzählt sie und richtet einen anerkennenden Blick in seine Richtung. „Ich bin sehr stolz auf das, was er erreicht hat.“
Ein neuer Lebensabschnitt
Badu Ba wirft an diesem Tag noch einen Blick in sein altes Zimmer. Von den Büros der Pädagogen geht es drei Etagen hoch, es ist das fünfte Zimmer auf der rechten Seite. Die Wohngruppe 10. Im Raum stehen ein Bett mit Matratze, rechts daneben ein Waschbecken mit Spiegel sowie schräg gegenüber ein Regal und ein geöffneter, leerer Schrank. Badu Ba schlängelt sich vorbei am Kühlschrank, der im Eingangsbereich des Zimmers steht, zum Fenster. Von dort schaut er auf den Innenhof des Salesianums. An warmen Abenden finden hier Treffen vor dem Lagerfeuer statt oder es wird Volleyball gespielt. Wenn er es neben der Arbeit geschafft hat, habe auch er an den gemeinsamen Aktivitäten im Haus teilgenommen, sagt er. Viele der jungen Männer, die er hier kennengelernt hat, sind so wie er aus der Heimat geflohen. Sie kommen zum Beispiel aus Ghana, dem Kongo, Afghanistan oder Irak: „Es gab ein gutes Gemeinschaftsgefühl.“
All diese Erfahrungen haben ihn gestärkt für den neuen Lebensabschnitt, der nun vor ihm liegt – und auf diesen schaut er nicht mit Angst oder Unsicherheit. „Ich fühle mich auf die Herausforderungen gut vorbereitet“, sagt der junge Mann selbstsicher – gerade dank der intensiven Begleitung im Salesianum.
Die Verabschiedung ist herzlich und die Pädagogin wünscht ihm für die Zukunft noch einmal alles Gute. Hin und wieder werden sie sich in der Jugendeinrichtung wahrscheinlich noch über den Weg laufen – Badu Ba möchte hier nämlich demnächst einen Schwimmkurs belegen.
Text: RefÖA/Patrizia Czajor; Fotos: Klaus D. Wolf